Kürzlich bin ich über ein altes Büchlein mit Schachgedichten gestolpert: „Der Schach-Struwwelpeter“ von Ludwig von Bilow (11.4.1834-6.8.1903).
Hierin werden verschiedene typische Vertreter der Schachspielerzunft in Reimform aufs Korn genommen, z.B. der Theorieverächter, der Zugzurücknehmer oder der Freßfreudige. Zum heutigen Geburtstag des Autoren präsentiere ich hier als Kostprobe das Gedicht „Der Comibinationshuber“, in welchem ein auch heute noch weit verbreiteter Spielertypus behandelt wird (die im Gedicht vorkommende Zugfolge kann unten nachgespielt werden).
Update: Hier eiine augenfreundlichere Druckvariante als PDF-Datei.
Der Combinationshuber
Der Schächer Paul war sonder Frage
Ein Schächer von besondrem Schlage;
Er haßte sehr das Simpelmeiern,
Figurentausch und Bauerleiern,
Spann kühne Kombinationen,
That nicht Pions noch Stücke schonen --
Ja, ja, die Opfer müssen sein,
So spielt man geistreich, spielt man fein.
Es kam nur garzu häufig vor,
Wenn Paulchen einen schönen Zug sah,
Daß er dabei nicht weit genug sah,
Und daß er die Partie verlor;
Ach Paul! verwende ökonomisch
Dein Truppenvolk; Kunsttiftelei'n,
Darin doch sind sie einmal komisch,
Sie wollen durchgerechnet sein.
Du spielst den Angriff ja wohl kräftig,
Ziehst, combinirend auch geschäftig,
Des Feindes Abwehr in Betracht,
Erwägst doch nur Vertheid'gungszüge,
Giebst gar so selten zur Genüge
Auf seine Gegendrohung Acht.
Der Ruf, den Paul am Brett erzielte,
War, daß er manchmal genial
Und daß er sicher allemal
Gewaltig unsolide spielte.
Ihr Alle, denen im Gemüth
Caissa's heilig Feuer glüht
Mit allzu raschen Muthes Flamme,
Blickt her nach diesem Diagramme
Und merket, wie's dem Paul erging,
Da, nach des Feindes Dame trachtend
Und nicht sein Gegendroh'n beachtend,
In eig'nen Schlingen er sich fing.
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Die schwarzen Steine führte Paul,
Er mußte denn wohl einfach jetzt rochiren;
Im Spiel des Gegners roch schon etwas faul,
Er that ein Bäuerlein verlieren,
Hat in der Stellung kaum Ersatz,
Sein ganzer Angriff für die Katz',
Paul's Bauerplus muß schließlich sich rentiren.
Doch nicht so simpel spielt der Paul,
Er steigt auf seinen Musengaul,
Es gilt ein wenig nun zu combiniren!
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Wie wär's denn, wenn der Thurm auf h
Und dann g4 den Springer da
Wir brächten? Schnettrendeng! Victoria!
Das Plänchen scheint doch wahrlich gut,
Denn, wenn der Feind nichts merken thut,
Giebt's mindestens ein Qualitätchen,
Wenn's glückt, am Ende gar das Mädchen!
Und sollt' er doch denn Lunte riechen --
Sein Thurm von f nach e mag kriechen,
Zu fesseln mir das Roß -- je nun,
Da wird rochirt, er kann mir ja nichts thun,
Vielleicht auch tauscht er ab auf d --
Nahm dann die Dame, greift sein Bauer an,
Daß auf h1 sie nicht mehr stützen kann,
Vom dort'gen Droh'n muß freilich lassen --
Darin ich Schlimmes auch nicht seh',
Denn gute Felder bleiben ihr in Massen,
Und mir kann jeder Tausch nur passen,
Der ich 'nen Bauer besser steh'.
So wär' dies Alles reiflich denn erwogen,
Und also wird der Thurm gezogen, (1...Th8)
Paul harrt gespannt des Gegenzugs.
Der Weißen Führer, so ein feiner Fuchs,
Der mit Problemen sich befaßte
Und selbst die trocknen Spiele haßte --
Ein leises Schmunzeln zuckt um seinen Mund:
Die Opfer, sagt man, seien ungesund,
Dich, alter Kunde, hör' ich laufen,
Die Tante sollst du theuer kaufen!
Und sorgsam alles zieht er in Betracht:
Es scheint, daß sich die Sache macht,
Und wirklich hübsch ist's, wenn man's recht bedenkt,
Sein Laufer ab-, der meine angelenkt,
Die noch den Weg mir wehren dort,
Sein Thurm, sein Springer, beide fort --
Sein Plan ist gut, mir mind'stens soll er frommen,
Hüpf' auf d4, mein Roß! nun laß ihn kommen. (2. Sd4)
Paul stutzt ein wenig: schau doch, schau!
Trägst auch Gelüst du nach der Frau?
Der Angriff allzuviel wohl nicht bezweckt,
Denn wenn sein Springer steht auf e,
Ich mit der angegriff'nen geh'
Nach a, wo Alles sie auf's Schönste deckt.
Paul! Paul! du rechnest wieder nur drei Züge,
Das Andre, denkst du, finde dann sich weiter --
Ich fürchte! fürchte, daß es nicht genüge.
Er aber, sorgenlos und heiter,
Heißt nun den Springer auf g4 sich wagen, (2...Sg4)
Und sieh' -- der Läufer hat geschlagen. (3.Lxg4)
Wie jetzt der Paul sich, der entmenschte freut!
Er denkt bei sich: o blindes Huhn;
Und laut dann, wie er's pflegt zu thun --
Denn wenn's ihm gut ging, that er sich gewöhnen,
Den Feind ein wenig zu verhöhnen:
„Wo bist du, Saladin? wie spielst du heut?
So müde deiner Königin?
Des Thurmes Angriff rafft sie hin.“ (3...Th1)
„„O weh! da wird mir wirklich bange,
Doch, weißt du? Lessing zu citiren,
Bei'm Schach nicht würd' ich es riskiren,
Da eignet sich doch mehr Max Lange““ --
Und los nun wettert's, Schlag auf Schlag,
Bei'm Thurm die Dame elend lag -- (4.Dxh1 Lxh1)
e6 das Rössel! fliehen mag (5.Se6 Da5!)
Nach a die schwarze Tante.
Schach mit dem Laufer! Schach auf h! (6.Lh5+)
„O weh mir, weh! ich übersah
Das droh'nde Mat -- gottlob! auf a
Noch steht und hilft die Tante.“ (6...Dxh5)
Ja wohl, sie hilft; ach, Paulchen, ach!
Nun kommt der große, große Krach,
Nun nimmt das Roß auf g mit Schach -- (7.Sxg7+ K ~)
Ade, du traute Tante! (8.Sxh5)
Paul saß bestürzt in bittren Schmerzen,
Wie rasch verraucht sein Siegesrausch!
Der Andre nahm und sprach: „„Mir geht zu Herzen
Doch allemal ein Damentausch;
Des Spiels Interesse wird gemindert,
Da liegen beide sie im Grabe!
Nun, meinen Gram es doch erheblich lindert,
Daß ich den Rochen intus habe.
Das ist denn so des Combinirens Lauf;
Was meinst du? stellen wir neu auf?
Dies Spiel, wenn ich es recht erkannte,
War Meine Tante, Deine Tante.““
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