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Ende gut, alles gut für Markus Ragger

Im heutigen Bericht sieben Diagramme - darunter ein Analysediagramm - zu einer Partie der laufenden Europameisterschaft. Im Titel erwähne ich den Sieger, da er beim Publikum wohl bekannter ist - aus diversen Gründen: Österreicher, Grossmeister mit Elo fast 2700 (live-aktuell 2693.3, konnte durchaus etwas weniger sein), deutscher Mannschaftsmeister mit Solingen (jedenfalls mit klassischer Bedenkzeit, im Blitzschach gestern war er nicht dabei und dann hat Bad Emstal/Wolfhagen - liegt offenbar irgendwo in Russland - gewonnen), Harikrishnas Sekundant in Norwegen, Interview-Partner der Krennwurzn, ... . Sein Gegner Perparim Makolli ist dagegen titelloser Kosovare mit Elo 2261. Das Titeldiagramm (Schwarz am Zug gewinnt, aber das darf der Leser selbst finden, Ragger fand es) deutet einen souveränen und schön herausgespielten Sieg des klaren Favoriten an, dem war nicht so. Ich hatte die Partie weitgehend live verfolgt, und Weiss stand deutlich besser bis gewonnen. Dann habe ich mich ausgeklinkt, und am Ende gewann doch Schwarz.

Ragger spielt, wie bereits erwähnt, in der deutschen Bundesliga, daneben auch z.B. in der österreichischen Liga und diverse Turniere. Makolli spielt vor allem in der Balkan-Region und daneben europäisch, sowohl individuell als auch beim Europacup für Vereinsteams. Im Kosovo ist er immerhin Nummer 4 (bei der aktuellen Europameisterschaft spielen noch diverse Landsleute, die teilweise gar keine Elozahl haben), Jahrgang 1965 also nicht unbedingt ein Jungstar. Tags zuvor hatte er Sebastian Bogner besiegt, vielleicht der grösste Erfolg seiner bisherigen Karriere - denn Bogner ist (Deutscher oder auch Schweizer und) immerhin GM, wenn auch nicht so nominell gut wie Ragger. Das war ausserhalb der Liveübertragung und ist daher nicht überliefert. Ragger verlor dagegen gegen den Armenier Ter-Sahakyan - da war es vermutlich ein Patzer, der zwei Leichtfiguren für einen Turm kostete, in der hier besprochenen Partie hat er sicher absichtlich geopfert.

Makolli (2261) - GM Ragger (2696)

1.e4 c5 2.Sf3 d6 3.d4 cxd4 4.Sxd4 Sf6 5.Sc3 a6 6.a4!? - und schon das erste Diagramm:

Makolli Ragger move 6

 

 

 

 

 

 

 

Nicht gerade die prinzipiellste Fortsetzung gegen Najdorf, aber so bekommt Schwarz nicht die von ihm eher angestrebten Stellungen mit bei Gelegenheit -b5. In der Weltklasse spielten das die positionell ausgerichteten und etwas theoriefaulen Adams und Kamsky mehrfach, andere auch sporadisch. 6.-e5 7.Sf3 Le7 8.Lg5 0-0 9.Lxf6 Lxf6 10.Sd5 da steht der Springer gut - wie kann Schwarz sein Läuferpaar benutzen und überhaupt aktiv werden? 11.c3 g6 12.a5 Tb8 13.b4 Lg7 14.Lc4 Kh8 15.h4!? h6 16.Dd3 Le6 17.Td1 f5 18.Sd2 Se7 19.Sb6 d5 20.exd5 e4 unter Bauernopfer wird er aktiv und will dem weissen König an den Kragen - egal ob der in der Mitte bleibt oder doch noch kurz rochiert. Vielleicht nicht ganz korrekt, aber unter dem Motto "kalkuliertes Risiko"!? 21.Dh3 Lg8 22.0-0 Dd6 23.Sb3 Sc8 24.Sa4! schaut nach c5 24.-de7 25.Sbc5 Sd6 26.Le2 Lf6 27.De3 Kg7 28.g3 Tbe8 29.Sb6

Makolli Ragger move 29

 

 

 

 

 

 

 

Und nun gewinnt Schwarz seinen Bauern zurück, allerdings auf Kosten einer Figur: 29.-Lxh4!? 30.gxh4 [Engines bevorzugen 30.Se6+!? (kontrolliert zunächst Feld f4) 30.-Lxe6 31.dxe6 (nun droht auch 32.Dd4+) 31.-Lf6 32.Dc5 Td8 33.Sd7 Txd7 34.exd7. Das ist zwar nur eine Qualität, aber übersichtlicher, zumal der Bauer auf d7 jedenfalls zunächst auf dem Brett bleibt.] 30. - f4 31.Dd4+?! [So ist das schwarze Opfer im Ausgleichssinne korrekt, richtig war 31.Dh3 f3 32.Lc4 Tf4 33.Se6+ wieder dieser legale und starke Zug 33.-Lxe6 34.dxe6 Txh4 35. Dg3 Dg5 (35.-Sf5 36.Td7, bloss nicht 36.De5+?? Kg8 -+) 36.Td5 Sf5 37.Td7+ Kh8 38.Dxg5 hxg5 39.Tfd1 Tg4+ 40.Kf1 Th4 42.Ke1 e3 42.fxe3 g4 - wie weit kann/muss man diese und andere Varianten berechnen? Und es ist immer noch etwas unübersichtlich:]

Makolli Ragger analyse move 31

 

 

 

 

 

 

[Analysediagramm zum 31. Zug]

31.-Kh7 32.Lg4??

Makolli Ragger move 32

 

 

 

 

 

 

 

Und schon das nächste Diagramm - hier war nun 32.-Dxh4 aus weisser Sicht "kaputt". Ich verzichte auf Varianten. Aus weisser Sicht richtig war 32.Sbd7, 32.Se6 oder 32.f3 - jeweils 0.00, auch hier verzichte ich auf Varianten (oft zum Schluss Dauerschach). 32.-f3?? Ragger verzichtet auf die Chance, für seinen (Über)Mut belohnt zu werden. 33.Se6 jetzt spielt er das, musste auch sein 33.-Tf4??! Was ist das denn? Natürlich scheiterte 33.-Dxh4 am Zwischenmattt 34.Dg7, und 33.-Lxe6 34.dxe6 Dxh4 35.Dxd6 Dg4+ 36.Dg3 Dxg3+ 37.fxg3 e3 38.Sd7 e2 39.Sxf8+ Txf8 40.Td7+ Kg8 41.Kf2 exf1D 42.Kxf1 Te8 43.Txb7 Txe6 ist ein für Weiss klar besseres (gewonnenes) Turmendspiel. 34.Sxf4 Man nehme 34.-Dxh4 Man nehme - ist allerdings ein ungleiches Geschäft:

Makolli Ragger move 34

 

 

 

 

 

 

 

Und hier hat Weiss einen ebenso spektakulären wie überzeugenden Zug, nach dem Ragger wohl seine Gewinn- und Remisversuche eingestellt hätte. Das darf der Leser selbst finden (kleiner Tip am Ende des Artikels), Makolli fand es nicht und spielte 35.Lxf3 (der zweitbeste Zug, der auch zum Sieg ausreichen sollte [wie auch 35.Lh3]) 35.-exf3 36.Se6 (wieder der zweitbeste Zug, der auch zum Sieg ausreichen sollte) 36.-De7 (muss sein, es drohte ja wieder Dg7 matt, und der Damentausch 35.-Dxd4 36.Sxd4 ist hoffnungslos, da danach der Bauer auf f3 verschwinden wird) 37.Df4 Sf5 38.Dc7?! (das Bedürfnis, bei luftigem eigenem König die Damen zu tauschen, ist verständlich. Aber nun kann Schwarz noch wühlen ...) 38.-Dxc7 39.Sxc7 Te4!

Makolli Ragger move 39

 

 

 

 

 

 

 

40.Td4! Im Gewinnsinne der einzige Zug - immerhin behält Weiss eine Mehrfigur und den potentiell starken d-Freibauern. Ausserdem ist nun die Zeitkontrolle geschafft. Wie knapp die Bedenkzeit zuvor beiderseits war, lässt sich nicht rekonstruieren (Weiss investierte nur 10 Sekunden für 38.Dc7?!). Hätte Makolli gewusst oder geahnt, was später passieren würde - dann hätte er wohl das Dauerschach mit -Tg4+ und -Th4+ zugelassen/akzeptiert. 40.-Sxd4 41.cxd4 Txd4 "Der Rest ist Technik" aus weisser Sicht - allerdings nicht trivial, und er sollte daran komplett scheitern. 42.Kh2 g5 vorwärts! 43.Te1 Lf7 44.Te7 Kg6 45.Te3 g4 vorwärts! Dagegen gilt ja für den weissen Bauern auf d5 wegen Turm auf d4 "bis hierher und nicht weiter" 46.Kg3 h5 vorwärts! 47.Se6 Td1 48.Kf4 Td2 49.Kg3 Kf5 50.Sc8 Kf6 51.Sb6 Kf5 52.Sg7+ Er will keine Zugwiederholung mit 52.Sc8 - objektiv immer noch zu Recht 52.-Kg5

Makolli Ragger move 52

 

 

 

 

 

 

 

Hier ist der Gewinn allerdings keinesfalls trivial - Weiss muss wohl auf Kosten seiner Mehrfigur den Bauern auf h5 vernichten und dann auf seinen d-Bauern setzen. Stattdessen 53.Se6+?? (zuvor war das mehrfach gut, nun ist es total falsch!) 53.-Lxe6 54.dxe6 h4+ 55.Kh2 g3+ 56.Kh3 gxf2 57.Tf3

Makolli Ragger move 57

 

 

 

 

 

 

 

Das Diagramm hatten wir bereits, nach 57.- (das darf der Leser selbst finden) gab Makolli auf. Zwei Tips zu den Taktikaufgaben: Beim fünften Diagramm geht es weniger darum, noch einen Bauern zu gewinnen, sondern darum Damentausch zu günstigen Bedingungen zu forcieren. Und im Titel- und letzten Diagramm geht es darum, die Umwandlung des Freibauern zu ermöglichen.

Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht mir nicht darum, Markus Ragger vorzuführen - wobei der Artikel vielleicht öfter gelesen wird, wenn im Titel ein bekannter Name steht? Es geht mir eher um zwei Dinge: Wieviel riskiert ein etwas unter Zugzwang stehender Favorit? Durch die Niederlage tags zuvor brauchte Ragger einen Sieg im Sinne von (wohl sein erstes Ziel im Turnier) Weltcup-Qualifikation recht dringend. Und: Wie schwierig ist es, eine gewonnene Partie tatsächlich zu gewinnen? Vor allem gegen einen klar favorisierten Gegner ... . Der eine oder andere Leser (oder jedenfalls ich selbst) kennt das wohl aus eigener Praxis, wobei es gegen einen 400+ Elopunkte stärkeren Gegner ziemlich selten vorkommt - schon weil die meisten Amateure derlei Gegner selten bis nie bekommen.

Die komplette Partie zum Durchklicken auch hier.

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