Ein Bericht aus Bad Wiessee

Blick auf Bad Wiessee Blick auf Bad Wiessee Meleagros-Wikipedia

Demnächst gilt unsere Aufmerksamkeit Spielern mit Elo 2600-2870 (Fridman spielt für Deutschland bei der Mannschafts-EM, Carlsen fehlt im norwegischen Team, Anand ist - obwohl kein Europäer - auch aktiv). Davor noch ein Blick auf ein Turnier das beinahe ignoriert wurde - auch von mir selbst, gleich verrate ich warum ich doch davon wusste. Anfangs war als Titel "die Abenteur von Frau Klek ..." geplant, aber erstens will ich mich nicht wiederholen, zweitens geht es auch um ihre noch Elo-schwächeren Gegner, drittens habe ich zu Hanna Marie Klek keine persönliche Beziehung. Mal abgesehen davon, dass ich einmal ihrem Onkel Igor Glek am Brett gegenüber sass [die Partie Glek-Richter 1-0 gab es tatsächlich, "Onkel" ist aber wohl nicht der Fall]. Im Rampenlicht stand sie nach einer Partie gegen Igor (der demnächst auch in Warschau spielt), danach spielte sie immerhin zweimal gegen Thomas sowie gegen Walter und Günther. In den mir vorliegenden insgesamt 400 Partien (50 pro Runde) gab es sicher noch mehr interessante Stellungen, aber alles kann ich nicht abdecken! Moment mal, wurden in Bad Wiessee nicht 9 Runden gespielt? Ja schon aber ... siehe unten.

Immerhin habe ich eine "Beziehung" zum Turnier in Bad Wiessee, offiziell "Offene Internationale Bayerische Schach Meisterschaft": Vor zwei Jahren berichtete ich für Chessvibes, das war damals mein allererster Schach-Artikel - mal abgesehen von Vereinshomepage und Lokalpresse. Deshalb stehe ich immer noch im Presseverteiler, zusammen mit vor allem Lokalpresse (wer sonst noch drauf steht, sollte ich vielleicht nicht erwähnen). So habe ich von dem Turnier erfahren dessen "Pressearbeit" insgesamt unvollständig ist: Wer Bilder vom Turnier sucht, findet auf der Homepage einiges betrifft 2006-2012, dieses Jahr war offenbar kein Fotograf vor Ort (oder doch, Chessbase hat ein paar Fotos?). Man kann auch noch alle Bulletins der Edition 2012 lesen, dieses Jahr immerhin Runde 2 und Runde 9 - der Rest nur in meiner Mailbox bzw. auch wieder auf Chessbase. Keine Kritik an den für Pressearbeit zuständigen Grossmeistern (2011 Prusikin, diesmal Hertneck). Während der letzten Runde schrieb Hertneck per email "Im Turnier ist es gerade sehr spannend: GM Nisipeanu an Brett 1 braucht zum Turniersieg nur ein Remis gegen GM Delchev, aber wenn mich nicht alles täuscht, dann steht er gerade auf Verlust". Gespannt wollte ich bei der Live-Übertragung reinschauen, aber die wurde (wie mir Wolfgang Fiedler schrieb, das war 2011) "aus Kosten-, Nutzen- und Aufwandsgründen eingestellt und ist auch nicht wieder geplant". Vielleicht hat sich ja der eine oder andere Lokalreporter ins Auto oder aufs Fahrrad gesetzt und im Turniersaal vorbeigeschaut? Nach der Runde Sonntag um 15:45 dieses Fazit, das jeder im öffentlichen Bulletin lesen kann: "nach 9 Runden hätte sich der Vorjahressieger GM Nisipeanu mit 8 aus 9 Punkten beinahe durchgesetzt! Doch die letzte Runde gegen Delchev war hochdramatisch, denn 5 Stunden lang musste „Nisi“ verzweifelt um ein Remis kämpfen, was ihm beinahe durch ein Festungsmotiv gelungen wäre. Doch dann – um den 100. Sten Zug herum – unterlief Nisipeanu ein schwerer Fehler, wonach der Bulgare die Partie noch für sich entscheiden konnte". Ich war gespannt auf diese Partie - und bin es immer noch, auf der Homepage fehlen nach wie vor die Partien der letzten Runde.

Aber gut, 400 Partien sind Material genug, fünf werde ich in diesem Bericht erwähnen. Ich beginne mit dem "Sensationssieg" (so steht es im Bulletin) von Hanna Marie Klek mit Weiss gegen Igor, Nachname Khenkin. Das begann schon bunt: 1.e4 c6 2.Sc3 d5 3.Sf3 Sf6 4.e5 Se4 5.Se2 Db6 6.d4 e6 7.Sfg1!?. Gab es das schonmal? Ja, zuletzt zwischen den Herren Dominguez und Vachier-Lagrave beim Weltcup dieses Jahr. Da entstand schnell ein ausgeglichenes Endspiel - wer auch immer auf Gewinn spielte stellte derlei Bemühungen in der Stellung Kc4 gegen Kg6 ein. Diesmal blieb genug Gewinnpotential auf dem Brett - die Caro-Kannte war schon verdunstet und es wurde eher eine Art Französisch mit typischem schwarzem Figurenopfer auf b4, Diagramm 1 nach 16 Zügen:

Klek-Khenkin move 16

Das war aus schwarzer Sicht wohl noch spielbar, nach 31 Zügen stand es so:

Klek-Khenkin move 29

Khenkin hatte eine gewaltige Bauernmasse, die Dame hatte eine Dame und gewann nach 46 Zügen. Zur Belohnung gab es tags darauf den nächsten Grossmeister - Khenkin ist zweieinhalb mal weniger jung als die 18-jährige Klek, Gutman war vor zwei Jahren noch viermal älter als seine junge Gegnerin. Und eine "Sensation" war möglich, nach 33 Zügen (Klek am Zug hatte wieder Weiss) stand es so:

Klek-Gutman move 33

Houdini plädiert für 34.Sd6 Dd5 35.c4 Dh1+ 36.Kf2 Dxh2+ 37.Ke1 Dh1+ 38.Kd2 Tcd8 usw., Vorteil Weiss (das auch zu gewinnen ist wohl nicht trivial). Stattdessen geschah 34.Dd4? De2 35.Df2 Dd1+ 36.Df1 Dg4+ 37.Kf2 Dxf4+ 38.Kg1 De3+ 0-1.

Zu Runde 5 schreibt das Bulletin unter anderem, "dass unsere Hanna Marie Klek leider gegen Thomas Walter verlor". "Unsere Hanna Marie Klek"? Sie spielt für Erlangen, und das liegt nicht in Bayern sondern in Franken! Ihr Gegner (Elo 2082, DWZ 2009) spielt übrigens auch für Erlangen - vielleicht liegt darin der Grund für die wiederum chaotische Eröffnung: 1.d4 d6 2.e4 Sf6 3.Sc3 e5 4.Sf3 Sbd7 5.dxe5 dxe5 6.g4!? . Nach 29 Zügen stand es so, Thomas und Walter haben gerade 29.Tg1 gespielt, woran scheitert das vielleicht geplante 29.-f4?

Walter-Klek

29.-Sf6 30.Sxb5 usw. war das kleinste Übel aus schwarzer Sicht, aber nicht genug um zu überleben. War das wieder ein Sensationssieg, der allerdings im Bulletin nicht umjubelt sondern bedauert wurde? Die nächste Partie von Frau Klek ist nicht überliefert, dann spielte sie gegen Thomas Günther (Elo 2082, DWZ 2015). Der (Jahrgang 1963) hatte keinen Respekt vor der Jugend, opferte in einem Sizilianer flott und korrekt eine Figur und erreichte diese Stellung:

Klek-Günther move 24

Jetzt noch 24.-Lc5 und aus, z.B. 25.Td4 (25.Dd3 Lb5 26.Db3 Lc4) 25.-Lxc2+ 26.Kxc2 b3+ 27.Dxb3 Lxd4 usw. . Stattdessen kam 24.-Lb5 25.Lxd5! Txd5 26.Txd5 Dxa2+ 27.Kc1 Kh8 28.Dg3 Tg8 29.Dxg8+ Kxg8 30.Txb5 Ld6 31.Tb6

Klek-Günther move 31

Da wurde kräftig aufgeräumt, Pflicht war nun 31.-Lc7 und dann z.B. 32.Te3 Lxb6 33.Tg3+ Kh8 34.Lg7+ Kg8 35.Lh6+ usw. mit Dauerschach. Stattdessen kam 31.-Dd5? 32.Td1 Dh5 und jetzt - das darf der Leser selber finden.

Damit hatte Klek noch einen grossmeisterlichen Gegner, wobei sie gegen Alexander Graf Schwarz hatte. Nach 25 Zügen stand es so:

Graf-Klek move 25

Weiss steht sicher einen Tick besser, aber die Remisbreite sollte nicht überschritten sein. Dennoch und nach und nach undsoweiter, nach 54 Zügen stand es so:

Graf-Klek move 54

Klek gab hier auf - vielleicht etwas früh (nicht jeder hätte hier seinem Gegner bereits gratuliert?) aber der Rest ist für einen GM sicher Technik.

Sinn und Zweck dieses Berichts war nicht unbedingt (nur) Hanna Marie Klek zu würdigen, sondern generell ein paar nette Stellungen und Motive zu demonstrieren. Gewonnen hat das Turnier wie schon erwähnt der bulgarische GM Delchev der mit Erfolg Schweizer Gambit spielte: nach einer (unnötigen) Niederlage in Runde 4 gegen den Engländer FM Eggleston (der dann noch gegen GMs Kempinski und Postny remisierte) holte er 5/5. Am Ende waren 8/9 (Gegnerschnitt Elo 2264) mehr wert als Nisipeanus 7.5/9 (gegen im Schnitt Elo 2407) oder auch 7.5/9 gegen gemittelt Elo 2422 von Sumets. So ist das Schweizer System manchmal.

Zum Schluss kriege ich - was ursprünglich nicht geplant war - die Kurve zu den eingangs erwähnten Veranstaltungen demnächst in Warschau und Chennai. Elo und DWZ von Thomas, Walter und Günther hatte ich bereits erwähnt, nun noch die anderen von oben nach unten: Khenkin Elo 2609, DWZ 2608, Graf 2607/2556, Gutman 2441/2410, Klek 2283/2243. In zwei der fünf erwähnten Partien gewann der Aussenseiter bzw. die Aussenseiterin, in zwei anderen war eine Überraschung durchaus möglich, nur Graf gewann souverän "im Stile Carlsens". Sicherlich hat im Turnier insgesamt öfter der Favorit gewonnen, und fünf Partien sind statistisch ein bisschen wenig.

Ein Niveau höher zur Mannschafts-EM: Kann ein an 10 gesetztes Team Europameister werden? Ja, dem war so 2011 in Porto Carras. Eher unwahrscheinlich - wir wollen ja nicht übertreiben - dass das an 10 gesetzte Team 2013 in Warschau Europameister wird; das hiesse, dass Deutschland seinen Titel verteidigt. Wie oft hat eigentlich das an eins gesetzte Team (immer Russland, immer mit deutlichem Abstand) in Mannschaftswettbewerben gewonnen?

Ein Niveau höher nach Chennai: Die Elo der Kontrahenten kennen wir, und (nur) darauf basieren die statistischen Spielchen von Matthew Wilson (höchste Rating 1952 - das kann ich auch und konnte mal ein bisschen mehr). Alles andere - Form, Motivation, sportliche Fitness usw. - kennen wir von Carlsen weil er gerne darüber redet und Medien das gerne veröffentlichen. Von Anand wissen wir viel weniger. Was Form betrifft, das wissen wir für beide erst während bis nach dem WM-Match. Ist Elo alles? Ich zitiere mich selbst: "Bei Kramnik (2772) – Kasparov (2849) und Kramnik (2743) – Topalov (2813) gewann jeweils der Elo-Aussenseiter."

Wie auch immer, viel Spass bei den bevorstehenden Turnieren. Was die EM betrifft: ich gehe davon aus, dass Kollege Michael Schwerteck gegen eine Überraschung nichts einzuwenden hätte - und schon Platz drei, vier oder fünf für das deutsche Team wäre objektiv gesehen eine.

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