Die Abenteuer von (Team) Bosboom auf Rhodos

Gute Mienen vor der Partie Gute Mienen vor der Partie http://euro2013.chessdom.com

Es gab verschiedene Gründe, am Europacup auf Rhodos teilzunehmen: einige Teams wollten gewinnen, andere wohl auch das (siehe Titelfoto) offenbar schöne Wetter auf Rhodos geniessen, einige hatten Ambitionen irgendwo zwischendrin. In diesem Beitrag geht es nicht um die Spitzenteams - die Partie von Caruana aus Aserbaidschan gegen den Italiener Nakamura war durchaus interessant, wurde aber bereits anderswo erwähnt. Es geht auch nicht um die deutschen Teams - Muelheim betonte (sicher nicht freiwillig) den Urlaubsaspekt und holte in der fünften Runde ein souveränes Unentschieden gegen Freilos, auch Eppingen und Solingen spielten erwartungsgemäss unter ferner liefen. Alle drei Vereine hatten ja auch ihre Grossmeister zu Hause gelassen - stimmt nicht ganz: einige aus deren Bundesligamannschaften, und auch diverse Spieler anderer deutscher Vereine, waren auf Rhodos dabei - allerdings für andere Teams.

Stattdessen schreibe ich über das Turnier meiner Freunde von En Passant aus Bunschoten, speziell über einen Spieler. Die allgemeine Einleitung kann ich mir sparen, da ich hier sowohl Manuel Bosboom als auch den Verein bereits vorgestellt habe. Stattdessen schweife ich noch ein bisschen ab: Im passwort-geschützten Administratorbereich können Autoren sehen, wie oft ihre Artikel gelesen bzw. angeklickt wurden. Genaue Zahlen nenne ich nicht (die ändern sich auch ständig), nur eine allgemeine Hitliste: Vorne liegen "Stellungnahme Falko Bindrichs zum Betrugsvorwurf", "Schon wieder Handybetrug - IM Jens Kotainy in Dortmund ausgeschlossen", "ChessBase12 die Leiden der jungen Krennwurzn", "Betrug nun auch in der Schachbundesliga?!", "Schachbund trennt sich von Arkadij Naiditsch", "Schachbund sperrt auch Falko Bindrich" und "Betrugsverdacht". Ob Chessbase sich in dieser Gesellschaft wohlfühlt? Und bei meinen Beiträgen steht der Dritte den ich jemals geschrieben habe nach wie vor an zweiter Stelle, wenn auch weit hinter "Betrugsverdacht" - genau, Bosboom in Gibraltar. Der macht zwar am Brett Randale aber ohne Skandale - mal abgesehen davon, dass er in Blitzpartien mitunter Figuren umkegelt und einige ihm Absicht unterstellen.

Damals in Gibraltar spielte er gegen Grossmeister spektakulär aber ohne zählbaren Erfolg - diesmal waren zumindest seine Eröffnungen vergleichsweise konventionell und, soviel verrate ich vorab, sein Ergebnis auch gegen GMs besser. Will er in Mannschaftskämpfen die Nerven seiner Kollegen nicht allzu sehr strapazieren, oder wird er etwa alt? Etwa ein Jahr nach meinem ersten Artikel über ihn, also im Januar 2013, feierte er seinen 50. Geburtstag. Seine Teamkollegen will ich hier und auch weiter unten nicht ganz ignorieren. En Passant spielte mit GM Ikonnikov, GM Nijboer, IM Bosboom, IM Henk Vedder, FM Richard Vedder (gleicher Nachname kein Zufall, sie sind Brüder) und Dick de Graaf. Die drei Letztgenannten sind Eigengewächse aus Bunschoten die auf jeden Fall dabei sein sollten. Vorne brauchten sie Verstärkung, um auch gegen Teams aus dem (vorderen) Mittelfeld bestehen zu können und damit auch gegen Spitzenteams spielen zu dürfen.

Giri spielte lieber Brett 6 für die gut geölte Truppe von SOCAR Azerbaijan, Smeets verzichtete aus finanziellen Gründen, l'Ami spielte im Open in Hoogeveen (statt Rhodos-Urlaub mit seiner Frau die im Damenturnier mitspielte), daher waren Ikonnikov und Nijboer dabei. Vor einigen Jahren beantwortete Richard Vedder (der damals für einen belgischen Verein mitspielte) meine Frage "Wie war's beim Europacup?" mit "einfach grossartig im selben Saal wie Shirov zu spielen!". Diesmal hätte Vedder (Henk, nicht Richard) oder Bosboom mit noch ein bisschen mehr Losglück gegen Shirov spielen können. Shirov war damals noch absolute Weltklasse, inzwischen ist er - jedenfalls für Team Malachite - nur noch gut genug für Brett 4, da holte er 4.5/5. Darunter zwei Siege in 16 und 19 Zügen bei denen der (nominell viel schwächere) Gegner natürlich mitgeholfen hat.

Genug geplaudert, steigen wir ein in das Turnier von En Passant - neben meinen eigenen Eindrücken aus der Ferne verwende ich dafür auch diese drei Berichte von Vedder (diesmal Henk, nicht Richard). Generell eine nette Idee, so den Gesamtverein und die Schachwelt zu informieren (das machen auch einige andere Vereine) - für die Schach-Welt übersetze ich Fragmente aus dem Holländischen.

Runde 1 spielten sie gegen Istogu Chess Club aus dem Kosovo, schwer einzuschätzen da zum Teil ohne FIDE-Elo. Henk Vedder: "Wenn man Partien in Datenbanken findet, dann vor allem aus früheren Europacups - offenbar sind es fanatische Vereinsspieler". En Passant war dann auch Favorit und gewann 4,5-1,5 - nur Nijboer hatte gegen Elo 2215 "keine Chance" (auf mehr als remis). Und Bosboom? Nach 29 Zügen stand er gegen einen gewissen Avdiu Arben (Elo 1967) so:

Bosboom-Avdiu move 29

"Alles" gewinnt hier, am stärksten ist (laut Engines) 30.Tc8. Stattdessen geschah 30.Tg8? Dxg6 31.Txg7 Dxg4 32.Txg4 Te2 und das Turmendspiel ist, trotz momentanem weissem Mehrbauern, besser für Schwarz. Nach weiter 33.f5 Txb2 34.Txc4? Kd5 steht Schwarz auf Gewinn, und so kam es dann auch.

Die Belohnung für einen Auftaktsieg ist ein starker Gegner in Runde 2, auf En Passant wartete die an 4 gesetzte russische GM-Truppe von Ugra. Vier Partien gingen verloren (auch Leko gewann gegen Nijboer), Henk Vedder erkämpfte sich ein Remis gegen (immerhin) Dreev, und Bosboom spielte eine wilde Partie gegen den wilden Korobov. Zuerst stand er schlechter, dann besser, dann zumindest einen Zug lang gewonnen (Diagramm hier und weiterhin aus Sicht von En Passant):

Korobov-Bosboom move 42

42.-Te3 und (ich verzichte auf Varianten) Schwarz gewinnt! Stattdessen geschah das naheliegende 42.-Dxd3 43.Th1 Sf4+ 44.Kg3 und nun 44.-Sh3!?!? . Henk Vedder dazu: "Meine Bedenkzeit war knapp, zum Glück auch die meines Gegners. Ich verlor zwei Minuten, da ich meinen Augen nicht traute als Manuel [am Nachbarbrett] Sh3 spielte." Es war aber gut und der einzig verbliebene Gewinnversuch - nicht gut genug, später war das Turmendspiel besser für Schwarz und doch remis.

Runde 3 gegen das nominell schwächere, aber junge und damit unberechenbare Team aus dem französischen Sautron war dann doch eine klare Sache: 5,5-0,5 wobei die Gewinnpartien 22-31 Züge dauerten. Bosboom war in der Eröffnung ein bisschen kreativ oder auch nicht, er kopierte sich selbst: zu 1.c4 e6 2.Sf3 Sf6 3.a3!? gibt es in der Datenbank vor allem Bosboom-Partien. Im Gegensatz zu früheren Gelegenheiten (z.B., siehe Gibraltar-Bericht, gegen Daniel Fridman) verzichtete er auf g4. Tg1, b4 und rochierte schon nach elf Zügen kurz. Dennoch gewann er flott:

IM Bosboom (2390) - FM Delorme (2283) nach 18.-Dc7:

Bosboom-Delorme move 18

Es folgte noch 19.e4 fxe4 20.Lxg5 exf3 21.Sf4 Dxe5 22.Lxc6 1-0.

Runde 4 gegen das nominell stärkere griechische Team von Peristeri war dann Chaos mit happy end für En Passant. Chaos bereits vor dem Kampf - Henk Vedder: "Dick wollte noch duschen, Richard seine kurze Hose loswerden, und es war schon Viertel vor Drei!" - Partiebeginn ist 15:00 mit Null Toleranz. Das schafften sie, nebenan ging es beinahe schief, wiederum Vedder: "Die Eröffnungsphase wurde begleitet von einer heftigen Diskussion am Tisch von Wirtzfeld (aus Belgien). Offenbar war Hans-Hubert Sonntag ein paar Sekunden zu spät und der Gegner freute sich über einen gratis Punkt. Aber wenn man laut genug schreit - ich kenne die Details nicht - geht anscheinend noch was, die Partie wurde gespielt und endete Remis." Ungefähr zu diesem Zeitpunkt entstand dieses Foto (rechts Dick de Graaf, Richard und Henk Vedder, Manuel Bosboom, Quelle Vereinshomepage)

Peristeri-EP

Henk Vedder denkt offenbar "Was macht Manuel schon wieder?" (8.-b6 in einem g3-Königsinder ist auch nicht der theoretische Hauptzug). Später überspielte Bosboom seinen Gegner, immerhin GM Halkias, landete dann aber in einem komplizierten Turmendspiel - ich setze das Diagramm mal direkt nachdem die vorletzten Türme getauscht wurden:

Halkias-Bosboom move 43

Wer steht hier besser? Im Nachhinein war man sich einig, dass Schwarz besser bis gewonnen steht, aber während der Kampf lief war das Urteil der Kibitze "unklar". Ich verrate mal noch nicht wie das ausging sondern schaue zunächst bei Richard Vedder vorbei, er (Elo 2257) hatte Schwarz gegen den Herrn Angelos Sandalakis (2394). Aus einer schlechteren Stellung erreichte er dieses Damenendspiel und ist am Zug:

Sandalakis - R Vedder

Er muss hier mit ein paar Schachs den e4-Bauern abholen, stattdessen geschah 61.-g3?? und der Leser darf selbst herausfinden, wie Weiss die Mattdrohung pariert und remis erzwingt. Danach überschritt Halkias gegen Bosboom die Bedenkzeit in (so dachten die Kibitze anfangs, und vielleicht auch der fluchende Halkias) für ihn gewonnener Stellung. Später stellte sich heraus, dass die Schlusstellung ohnehin für Schwarz gewonnen ist. Zwischenstand 3-2 für En Passant, in der letzten Partie de Graaf (2199) - Mihailidis(2279) stand es irgendwann so:

De Graaf - Michailidis

Irgendwie hielt Weiss das remis, bzw. Schwarz schaffte es, diese Stellung nicht zu gewinnen.

Die Belohnung für En Passant war wieder ein russisches Topteam in Runde 5, diesmal PGMB-Rostov die ihrem Spitzenbrett Baadur Jobava (Mr. 1.b3) einen Ruhetag gönnten und das beinahe bereuten. Schaudernd (aus seiner Sichtweise) sah er sich an, was GM-Kollege Azarov mit Schwarz gegen Bosboom machte. Nach 31 Zügen stand es so:

Bosboom-Azarov move 31

Schwarz (über)kontrolliert die d-Linie, ob er deshalb besser steht ist nicht ganz klar. Nach 40 Zügen stand es so:

Bosboom-Azarov move 40

Ich lasse mal offen, wie Bosboom (bzw. Azarov) das hinbekommen hat, erzwungen war es nicht. Wie dem auch sei, nun folgte 41.Txe7 Txe7 41.Ta8 Dxa8 42.Lxa8 und wenig später 1-0 - Bosbooms zweiter GM-Skalp, und drei waren möglich. Henk Vedder (selber ein ungefährdetes Schwarzremis gegen GM Sjugirov) schreibt, dass En Passant gegen Rostov auch drei Brettpunkte und damit einen sensationellen Mannschaftspunkt holen konnte, da Nijboer gegen Zhigalko gewinnen konnte (und dann doch verlor). Aber auch 2-4 ist ein ordentliches Ergebnis bei einem Elo-Nachteil von 100-400 Punkten an allen sechs Brettern.

Runde 4 gegen Peristeri war dramatisch, Runde 6 gegen das (mit Peristeri) etwa gleichwertige "belgische" Team aus Amay sollte das noch toppen. Warum 'belgische' in Gänsefüsschen? Am Brett sassen fünf Niederländer und ein Deutscher - die beiden anderen belgischen Teams hatten immerhin jeweils zwei Belgier im Aufgebot. Der belgische Deutsche, IM Zaragatski, wäre vielleicht besser im Bett geblieben bzw. hielt am Brett einen Sekunden-Mittagsschlaf - in einer unkonventionellen Eröffnung beging er bereits im neunten Zug den entscheidenden Fehler, und Nijboer verwandelte souverän. An den fünf anderen Brettern dagegen: fast jedes Mal als ich live vorbeischaute (zwischendurch auch anderswo, z.B. beim Spitzenkampf SOCAR - Novy Bor 2,5-3,5) hatte sich irgendwo die Lage drastisch geändert. Am Ende wurde es 3-3 ohne ein einziges Remis. Bosboom ignoriere ich mal, OK nicht ganz: sein Gegner IM Twan Burg opferte einen Springer auf g7, bekam die Figur zurück aber dann (nicht forciert) profitierte Schwarz von der offenen g-Linie und konnte am Ende (nach gegnerischem Fehler in ohnehin verlorener Stellung) auf der Grundreihe mattsetzen. Stattdessen Henk Vedder, den ich bisher nur als Reporter erwähnt hatte:

Henk Vedder - Tan nach 25.-g6??

H Vedder-Tan

Ich muss wohl nicht extra betonen, dass es eine wilde Partie war. Weiss hat(te) für die geopferte Figur nicht genug Kompensation, bis Schwarz (mit einer halben Stunde auf der Uhr gegen eine Minute für Vedder) 25.-g6?? spielte. Wie Weiss reagierte, und warum 25.-g6?? grottenschlecht war, darf der Leser selbst herausfinden.

Die letzte Runde gegen das schwedische Limhamns SK war ein bisschen Antiklimax: En Passant lag durch eine kampflose Niederlage von Ikonnikov am Spitzenbrett sofort 0-1 zurück. Er hatte sich nicht etwa verspätet, sondern musste (was seine Teamkollegen vor dem Turnier wussten) vor der Runde sofort zurück nach Russland da sein Schengen-Visum ablief und er es nur dort erneuern kann. Das konnten sie nicht kompensieren, momentan steht es aus Sicht von En Passant 2-3 - ich warte nicht ab, ob Nijboer ein Damenendspiel mit Minusbauer halten kann. Derzeit sind 97 Züge gespielt, die letzte Partie des gesamten Turniers. Bosboom bekam von seinem Gegner offenbar in klar schlechterer Stellung ein Remisgeschenk, den halben Punkt brauchte er noch für eine GM-Norm (ich weiss übrigens nicht, ob und wann er bereits GM-Normen hatte, momentan fehlt zu Elo 2500 auch noch einiges). Henk Vedder verlor, aber dessen "GM-Norm" hätte ohnehin nicht gegolten, da er nur zwei grossmeisterliche Gegner hatte.

Ich hoffe, ich habe - auch für Leser ohne Beziehung zum Team En Passant - interessantes und z.T. kurioses Schach geboten!

 

 

Kommentare   

#1 MiBu 2013-10-26 20:52
Wie schön, dass "mein" belgischer Verein Amay hier mal erwähnt wird! Nun, Amay hat zum dritten Mal ECC gespielt, und es waren 2010 und 2012 je zwei echte Belgier dabei; diese konnten aber 2013 beide aus beruflichen Gründen nicht soviel ich weiß. Schließlich haben die dortigen Verantwortlichen aus den zur Verfügung stehenden Spielern nach ELO eingeladen - was für mich etwas ärgerlich war, denn die Liste endete mit Christov Kleijn direkt vor mir... Nun denn, mit mir wäre der Eloschnitt also runter gegangen, aber dafür der Altersschnitt nach oben - Ilja war mit 28 der älteste der Mannschaft! Übrigens darf er sich seit wenigen Wochen Großmeister nennen, insofern habe ich im Artikel einen minimalen Lapsus ausmachen können.
PS: Matthew Tan ist eigentlich ein findiger Taktiker, deswegen erstaunt mich g6 (Was sprach gegen das entfesselnde Kb6, um ggfs. mit a6 und Ka7 ein Versteck zu finden?). Ich fürchte, sein Gegner wird als bestes Feld für die Dame h2 gefunden haben, was Kc7 und Tb8 anvisiert.
#2 Thomas Richter 2013-10-26 22:43
Amay wollte also mit sechs Spielern durchspielen, bzw. hatte kein Geld (zumindest Reisekosten) für einen siebten Mann? "IM Zaragatski" hatte ich von chess-results.com übernommen - offenbar wissen sie auch nicht dass er seit kurzem Grossmeister ist, bzw. zum Zeitpunkt der Meldung war er es noch nicht.

Ja natürlich Dh2, obwohl es auf den allerersten Blick krumm aussieht. Wenn Schwarz schon den g-Bauern berührt hat, hätte er g7-g5 spielen müssen. Ich kann mir auch vorstellen, dass bei dieser gegnerischen Zeitnot (trotz jeweils 30 Sekunden Inkrement) die eigene Konzentration nachlässt und man die Partie bereits abgehakt hat.
Warum der Turm so "dumm" auf b8 stand: Einige Züge davor - da stand die weisse Dame noch auf g8 - war die Idee sicher, sich mit Ld7, Tb8 irgendwohin und Kb/c8 zu entknoten.

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