Mit Turnieren ist das ja immer so eine Sache. Alle wollen mitspielen und mehr noch am Ende ganz vorne landen, doch niemand liebt es, die hinteren Ränge des Feldes zu zieren. Auch ich nicht – doch fragte man mich nicht, und so wies mir Bundesturnierdirektor Ralph Alt zum Abschluss der Deutschen Schnellschachmeisterschaften in Leipzig den vorletzten Platz im Endklassement zu.
Schade – hatte ich doch auf mehr gehofft, vielleicht irgendwas mit Mittelfeld, damit ich mich in der Hansestadt Bremen weiterhin auf die Straße trauen kann. So aber? Warum suchte man ausgerechnet mich aus für den vorletzten Platz? -
Am Leipziger Hauptbahnhof warnte das Ampelmännchen -
doch ich begab mich trotzdem zum Turnier
34 Aktivisten aus dem gesamten Bundesgebiet waren zum Tag der Deutschen Einheit nach Leipzig gereist, um dort in neun strengen Runden den Meister 2015 zu ermitteln.
Schon vorher machte es Freude, einen Blick auf das Feld der Teilnehmer zu werfen – was waren das alles für Namen! Die Meisterspieler Hagen Poetsch aus Hessen, René Stern aus Berlin, der Baden-Badener Roland Schmaltz, Raj Tischbierek (Leipziger Lokalmatador und Schach- Chefredakteur) sowie natürlich Rasmus Svane, seines Zeichens ehemaliger Prinz und aufstrebende Bundesliga-Fachkraft vom Hamburger SK (HSV!).
Ein cooler Gast aus München - IM Thomas Reich (Foto: Frank Hoppe)
Zusammen mit diesen großen Kalibern tummelten sich noch einige mittlere und kleinere ELO-Fischlein im Leipziger Turnierteich. Meine Wertungszahl wies mich als Mann des Mittelfelds aus, doch ach, was nützt eine schöne ELO im edlen Turnierschach, wenn der Turnierleiter die Bedenkzeit so verkürzt!
Denn obwohl es um einen so wichtigen Titel wie die Deutsche Meisterschaft ging, erhielten wir alle lediglich eine denkbar kurze Bedenkzeit für unsere Partien. Warum nur dieser Stress? Stetig mahnte eine neben dem Brett platzierte Schachuhr zum nächsten Zuge. Nur schmale 25 Minuten gab es je Spieler und Partie, und – zumindest hier zeigte sich Ralph Alt großzügig – unentgeltlich noch einmal fünf Sekunden oben drauf als Bonus nach jedem Zug. Dabei war es ganz egal, ob man einen starken Zug machte oder wie ich einfach nur patzte – fünf Sekunden erhielt man auf jeden Fall und ohne Ansehen der Person. Vor der Schachuhr sind wir alle gleich.
Turnierleiter Ralph Alt setzte die Bedenkzeit knapp an (Foto: Frank Hoppe!)
Ein Ort der Kontemplation
Am ersten Turniertag arbeitete sich das gesamtdeutsche Feld durch fünf intensive Runden, die ohne große Pausen und mit viel Kaffee bestritten wurden. Die Sportschule Egidius Braun bot dabei ein hübsches Ambiente für die tadellos organisierte Meisterschaft. Die Sonne schien ohn´ Unterlass und gleich nebenan stürmte die Fußball- E- Jugend dem Ball hinterher.
Tag Eins endete mit der deutlichen Tabellenführung von Martin Krämer (Chessfriends Berlin), Titelverteidiger und Vorjahresmeister – unglücklich für ihn fiel er am zweiten Spieltag noch zurück und verließ die vorderen Ränge. Damit war der Weg frei für SF Roland Schmaltz, den schnellsten Finger Westeuropas – am Samstagabend hatte er sich in trauter und von Raj Tischbierek sächsisch ergänzter baden-württembergischer Runde noch in Meisterform geblitzt. Danach war er mehr als gestählt für weitere vier Schnellpartien mit der im Vergleich zum Blitz unendlich langen Bedenkzeit von 25 Minuten (+ Bonus!). Deutscher Schnellschach- Meister 2015 also: Roland Schmaltz, wir gratulieren! Nun ist der Weg frei für die FIDE- Weltmeisterschaften in Berlin!
Gleich hinter Roland teilten sich fünf Spieler den zweiten Platz – und die leicht bessere Feinwertung machte Hagen Poetsch zum Vizemeister knapp vor Patrick Zeibel (Hansa Dortmund!), René Stern (König Tegel), Hans Möhn (USV TU Dresden) und Thomas Reich (FC Bayern).
DSB-Turnierseite
Stärkster Athlet, schickstes Hemd - Roland Schmaltz von der OSG Baden-Baden (Foto: Frank Hoppe)
Ein gutes Omen - schon in der Liste der Teilnehmer lag Roland Schmaltz an vorderer Stelle!
Und Steffens? Der Bremer Vertreter hatte es so schwer, wie man es von einem Bremer Vertreter gemeinhin erwarten würde. Zwar war ich im März bei sehr respektablen Landesmeisterschaften Zweiter geworden und reiste nach dem Verzicht von Meister Tobias Jugelt als Nachrücker zur Endrunde. Ein gefühlt permanenter Trainingsrückstand und so dies und das verhinderten indes eine optimal ausgewogene Vorbereitung auf Leipzig, und was soll man sagen – das rächt sich dann doch!
Auf der Bahnfahrt nach Sachsen hatte ich noch versucht, mit dem Auffrischen von Eröffnungsideen und ein paar Liedern von Lenny Kravitz das Schlimmste zu verhindern. Allein, nach einer flotten Auftakt-Null gegen Hagen Poetsch stakste ich durch die neun Runden und stoppelte mit Mühe 1,5 Punkte am ersten Tag zusammen. Kein Wunder, dass Turnierleiter Ralph Alt sich rücksichtsvoll zeigte und mich bald nur noch an den hinteren Brettern spielen ließ. Doch auch dort blieben trotz guter Spiellaune die Punkte aus - zu weich, zu ungenau, zu überoptimistisch. Am Sonntag folgten vier weitere Niederlagen, und nur mit Glück verhinderte meine hauchdünn bessere Buchholz-Wertung nach neun Runden die rote Laterne. Steffens machte Gurkenzüge, und meine Spielideen erwiesen sich als Zitronen. Die Letzten werden die Erbsen sein, und ich war eine davon!
Steffens - Kopylov: der Norderstedter IM beendete mit Sg5+
alle weißen Jahrmarkt-Tricks (0:1 drei Züge später)
Gauglitz - Steffens: Schwarz am Zug steht offenbar ganz gut,
doch auch das kann man noch hübsch verlieren (1:0 elf Züge später)
Einziger Trost – meine Punktausbeute war zwar bescheiden, doch erhöhte sie die Buchholz-Wertung von Hagen Poetsch um entscheidende eineinhalb Punkte und machte ihn so zum Vizemeister. Da raschelt der Mantel der Schachgeschichte, immerhin!
Trotzdem – es war ein sehr schönes Turnier, ein wunderbarer Ausflug in den Osten, nach Leipzig und in die Geschichte, denn am Sonntag vor Abfahrt des Zuges blieb noch etwas Zeit für ein Essen im Barfußgässchen (Schuhe aus!) und vor allem den Besuch der Nikolaikirche und des Innenstadt-Ringes, auf dem die Ostdeutschen 1989 mutig und unerschrocken demonstrierten.
Wenn gar nichts mehr geht, spendet das Barfußgässchen Trost
Auch traf ich in Leipzig das erste Mal in meinem Leben das Berliner Wahrzeichen Frank Hoppe – seit Jahren stehen der DSB-Admin Frank und ich immer mal in Mail-Kontakt, doch waren wir uns der echten, der analogen Welt noch nie begegnet. Eine schöne Überraschung also!
Was ist im Vergleich dazu schon die kurze Agonie über ein schlechtes Schachergebnis? Wir machen einfach weiter, mit Schach und überhaupt. Und mit Lenny Kravitz!
Weiterlesen...