Der NL-Meister En Passant

Das Denksportzentrum Das Denksportzentrum http://www.schaakclubenpassant.nl

Nein, nicht mein Verein - wir dümpeln rum im Amateurbereich der Provinz Nord-Holland - sondern der Namensvetter aus Bunschoten. Bei der "Konkurrenz" wurde es bereits erwähnt, und sie haben auch dasselbe Titelbild. Ich werde es nun etwas ausführlicher belichten, da ich (wie auch zu "Polonia Griesheim") etwas mehr über den Verein weiss als manch aussenstehender Journalist und auch eine email-Adresse (Mannschaftsführer Guido de Romph) habe um nachzufragen.
Woher stammt mein Informationsvorsprung? Dass die Vereine denselben Namen haben ist natürlich Zufall, Detail oder Anekdote. Aber ein Spieler meines Vereins kommt aus Bunschoten und hält Kontakt. So waren einige Spieler aus Bunschoten mehrfach bei kleineren Turnierchen auf Texel dabei, und wir jedes Jahr bei ihrem grossen Kaaieman-Blitzturnier. Das war finanziell attraktiv genug für z.B. eine Autoladung aus dem Ruhrgebiet (Inhalt u.a. Fridman - wenn GM Daniel Bundesliga spielen musste, dann zumindest IM Rafael). Dabei waren auch z.B. Korchnoi, Timman und Sokolov - die bekamen wohl Konditionen, wobei Korchnoi diesbezüglich recht bescheiden war. Korchnoi spielte danach auch vorübergehend und gelegentlich in ihrer ersten Mannschaft.
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Korchnoi am Brett (gegen NL-Urgestein IM Hans Böhm) - dieses und alle anderen Fotos habe ich hier gefunden

Zwei meiner Vereinskollegen sassen Korchnoi am Brett gegenüber - sicher ein wenn nicht der Höhepunkt ihrer Amateur-Schachkarriere, Ergebnis ist da Nebensache (natürlich haben sie verloren). DAS Glück bzw. (Quali fürs A-Finale) Können hatte ich nicht. Mal spielte ich die Vorrunden eher schlecht und landete in einer niedrigen Finalgruppe; da war dann ein Geldpreis drin (Maximum 100 Euro). Mal war ich morgens gut drauf und mittags dann etwas überfordert - wobei z.B. 3,5/15 im B-Finale kein schlechtes Ergebnis war, denn jeder zweite Gegner hatte 200-500 Elopunkte mehr auf seinem Konto. Immer gab es leckeren gebackenen Fisch: Bunschoten bzw. der Ortsteil Spakenburg ist traditionell ein Fischerdorf, und das Turnier wurde von einem Fischer gesponsort. Der Kaaieman (bürgerlicher Name Dick de Graaf) unterstützt den Verein auch sonst und spielt selbst in der ersten Mannschaft. Noch ein Eindruck vom Turnier insgesamt:

Kaaieman-sfeer2

Timman war in dem Jahr nicht dabei, der hatte - noblesse oblige - keine Bierflasche neben dem Brett oder in der Hand sondern ein Weinglas.

Soweit zu meinem Hintergrund, gehen wir nun chronologisch vor. Das Denksportzentrum (siehe Titelbild) wurde im September 2002 eröffnet - damals machte der Verein noch keine schachliche Furore auf höchstem Niveau, aber auch das wurde überregional bis international registriert. Es entstand durch jede Menge Eigenhilfe aus dem Verein - nicht nur finanziell, sondern die Mitglieder haben selbst mit angepackt. Sehr wichtig war aber auch ein anderer Sponsor: eine Baufirma die diese Baustelle auch zur Ausbildung von Lehrlingen nutzte.
Jetzt habe ich schon zweimal Sponsoren erwähnt, ohne die es natürlich nicht geht. Es gibt jede Menge (womöglich aus Pietätsgründen - dazu später mehr - haben sie die Liste nicht aktualisiert) vor allem direkt aus dem Dorf. Damit ist es auch keine allzu grosse Katastrophe wenn einer der Sponsoren, warum auch immer, verloren geht. Laut Guido de Romph gibt es Sponsoren für den Verein bzw. das Vereinsheim, und "sicherheitshalber" unabhängig davon Sponsoren für die erste Mannschaft. "Die erste Mannschaft darf keine Vereinsmittel aufbrauchen, denn die Zukunft des Vereins ist wichtiger als sportliche Erfolge". Womöglich spielt eine Rolle dass Bunschoten nicht "irgendein" Dorf ist (bzw., ca. 20000 Einwohner, Kleinstadt), sondern als Teil des niederländischen Bibelgürtels stark christlich geprägt, was den Zusammenhalt vielleicht fördert. Daher(?) ist die Kneipenszene wohl eher bescheiden, aber in Sportvereinen (siehe obiges Bild) darf getrunken oder auch gesoffen werden - Einnahmequelle für die Vereine ... . Samstagabend ist aber recht früh Schluss, schliesslich muss man Sonntag in der Kirche wieder wach und +- nüchtern erscheinen.

Chronologisch war die Saison 2007/2008 der nächste Meilenstein: Da ist die erste Mannschaft in der dritten Klasse (hierzulande die vierte Liga, denn oberhalb der ersten Klasse gibt es noch die Meesterklasse) beinahe abgestiegen. Das sollte nicht nochmal (und vielleicht tatsächlich) passieren, also mussten Verstärkungen her. Zunächst waren das die IMs Bosboom, Carlier und Böhm. Mit denen dabei war Abstiegskampf kein Thema, zumal auch einige eigene Spieler fleissig Punkte sammelten - zumindest der bereits erwähnte Dick de Graaf und Richard Vedder (zu dem komme ich noch). Am Ende hatten sie 6 Mannschaftspunkte und jede Menge Brettpunkte Vorsprung auf den ersten Nicht-Aufstiegsplatz. Dann entstand die Idee um "einmal" Meister in der Meisterklasse zu werden. Dafür brauchten sie noch ein bisschen Verstärkung und mussten erst noch zweimal aufsteigen. Geholfen hat sicher dass dem Nachbarn aus Hilversum nach vier Titeln hintereinander 2011 der Sponsor/Mäzen abhanden kam (Joop van Oosterom, auch international bekannt), womit gleich vier Grossmeister (Giri, Smeets, l'Ami und Nijboer) einen neuen Verein suchten und in Bunschoten fanden.
Damit war der Aufstieg in die höchste Klasse eher Formsache, und nun zur letzten Saison: Schach-Ticker schreibt "Meister wurde mit knappem Vorsprung der Vorzeigeverein "En Passant" " - so knapp war es nicht! Zum einen sind zwei Mannschaftspunkte mehr als genug, zum anderen waren es nach der achten und vorletzten Runde deren vier - allenfalls ein kleiner Schönheitsfehler dass sie den letzten bedeutungslosen Kampf verloren. Vorzeigeverein? Das kommentiere ich ganz am Ende.
Allerdings lief nicht alles 100% glatt. Es gab mehrere hohe Siege (zweimal 7.5-2.5, einmal 9.5-0.5) aber auch drei knappe 5.5-4.5 Ergebnisse, darunter die vorletzte Runde gegen einen Abstiegskandidaten. Am selben Wochenende wurde die deutsche Bundesliga gespielt, daher musste En Passant auf Giri, Smeets und l'Ami verzichten (der Gegner aber auch auf van Kampen und Spoelman). Nach langer Suche fand Guido de Romph zumindest einen (vermeintlich) gleichwertigen Ersatz: Nigel Short. Der musste dann aber gegen einen gewissen Daan in 't Veld (Elo 2232) mit Remis mehr als zufrieden sein; irgendwann fragte er den Mannschaftsführer ob er remis anbieten darf denn "I have no fucking plan!". Das war dann unnötig, da der Gegner eine Zugwiederholung forcierte, hätte er gegen einen anderen weniger prominenten Gegner vielleicht nicht gemacht, denn er stand klar besser. Immerhin befindet sich Short in guter Gesellschaft: vor Jahren spielte Kramnik eine Partie in der NL-Meisterschaft und holte gegen einen gewissen (jungen) Jan Smeets auch nur ein Schwarzremis, allerdings ein ungefährdetes. An einigen anderen Brettern waren auch andere Ergebnisse möglich - aber wie schon gesagt: am Ende 5.5-4.5, En Passant kampioen. Wer alles dabei war und wer für die Konkurrenz am Brett sass, siehe hier (und dann scrollen). Auf dem Foto das ersatzgeschwächte Team aus Runde 8:

team2

Dick de Graaf (mit Sohn), Arie van den Hoogen (Ersatzmann), Henk Vedder, Richard Vedder, Friso Nijboer, Vyacheslav Ikonnikov, Zhaoqin Peng, Manuel Bosboom, Tanguy Ringoir, Nigel Short und Mannschaftsführer Guido de Romph.
Ein Gruppenfoto von En Passant in Bestbesetzung gibt es offenbar nicht.

Ich möchte noch die sehr ausführlichen Rundenberichte von Richard Vedder erwähnen, zum Beispiel dieser (mit u.a. in 't Veld - Short). Ich fragte ihn in Wijk aan Zee wie lange er dafür braucht: "Samstagabend gebe ich noch die Partien ein [Handschriften entziffern oder interpretieren ist nicht immer trivial], Sonntag ein paar Stunden." Ich weiss nicht mehr ob er vier, sechs oder acht Stunden sagte, jedenfalls ein zeitintensives Hobby zum Hobby.

Und dann Party! Gleich zweimal, nach der achten und nochmal nach der neunten Runde. Erst nochmal bunte Bilder:

Bosboom

Ein bunter Vogel - nicht nur auf dem, sondern auch am Brett

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Mannschaftsführer Guido de Romph, Vorsitzender (und Ehrenmitglied) Ernst de Reus und der Bürgermeister

Wie das zweite Foto schon zeigt, ist dieser Erfolg einigen aufgefallen. Die Lokalpresse berichtete ausführlich, lokale Fernsehsender auch wie hier und hier zu sehen ist. Die interessierten sich vor allem für die Einheimischen - Spieler (neben Dick de Graaf und FM Richard Vedder noch dessen Bruder IM Henk Vedder, der Jahre in Hilversum spielte und dann zum Heimatverein zurückkehrte), Funktionäre und der Bürgermeister - und kaum für die Grossmeister ohne die es sicher nicht geklappt hätte mit dem Titel. Laut Guido de Romph gehen die "Gastspieler" nie direkt nach Hause (bis auf manchmal Ikonnikov, der per Zug an- und abreist), sondern bleiben ein paar Stunden und waren auch beim Meisterfest dabei. Das zweite Video zeigt auch Smeets und (ich denke) Nijboer beim Blitzen und später noch l'Ami im Hintergrund; das erste war nach Runde 8 wo sie nicht dabei waren. Die GMs sagten auch dass die Titel in Hilversum auf deutlich weniger Resonanz stiessen, sowohl von Vereinskollegen als auch von Lokalpresse.

Und wie geht es weiter? "Einmal Meister" wäre geschafft, und nun? Ziel für die nächste Saison ist ... Klassenerhalt, denn (Guido de Romph) sonst sagen die Gegner "En Passant ist ein 'voorbijganger' " - auf Deutsch vielleicht eine Eintagsfliege die en passant einen Titel gewinnt und dann wieder verschwindet. Die Krise spüren sie auch - das Kaaieman-Turnier gibt es (leider) nicht mehr, und die Baufirma, davor Hauptsponsor, musste Konkurs anmelden. Das konnten sie kompensieren, aber nun müssen sie (auch mit einem Bäcker als Sponsor) etwas kleinere Brötchen backen. Giri wird wohl weniger oder gar nicht mehr spielen, und sie werden auch keine Spieler aus dem Ausland einfliegen wie Nigel Short.
Was auch eine Rolle spielen könnte: Mit SISSA gibt es Konkurrenz auf dem niederländischen Spielermarkt. SISSA ist nicht etwa der Sponsor (Special Internet Solutions Service Amsterdam), sondern steht für "Scaccare Inter Studioses Stimulat Amicitiam". Es ist oder war nämlich ein Studentenverein aus Groningen. Die beiden Spitzenbretter haben aber, wenn überhaupt, zuletzt vor Jahren eine Vorlesung besucht. Dank ihres Sponsors hotels.nl (der vor einigen Jahren bereits andere Groninger Schachvereine förderte) konnten sie van Wely und Sokolov bereits für die dritte Liga verpflichten, und wer weiss was sie nun vorhaben? Sie sind jedenfalls aufgestiegen und wollen - wie En Passant - noch zweimal Erster werden. Guido de Romph: "Wenn sie Smeets oder l'Ami ein Angebot machen, können wir sie wohl nicht halten. Muss auch nicht sein, wir haben unser Ziel erreicht." Mittelfristig ist die Zukunft von En Passant (als Spitzenverein) auch unsicher, da viele heutige Sponsoren noch Verträge für ein oder zwei Jahre haben. de Romph: "Das können wir nicht mehr lange durchhalten." Vielleicht wird alles auch anders und aus En Passant - Sicht besser, geht die Krise vorbei, melden sich neue Sponsoren usw. .
Wie schnell es bergab gehen kann musste übrigens Hilversum erfahren, die sind zweimal hintereinander abgestiegen. Diese Saison vielleicht durch Pech oder Unvermögen - entscheidend war am Ende dass in gewonnener oder zumindest klar besserer Stellung ein Handy klingelte. Der Spieler hat sich hinterher bei seinen Kollegen entschuldigt: "Ich habe das Handy vor der Partie noch (übrigens sichtbar) kontrolliert und offenbar aus Versehen ein- statt ausgeschaltet. ... Wer will kann mir die volle Ladung geben: wie Ihr inzwischen wisst bin ich immer und überall per Handy erreichbar." Neben Enttäuschung lese ich im selben Artikel auch Realismus: "HSG steigt also zum zweiten Mal hintereinander ab, nach viermal Landesmeister jetzt zweite Klasse [dritte Liga], sein natürlicher Platz ohne Sponsoren. ... Drei Saisons Abstiegskampf, das wäre bei Klassenerhalt nahezu unvermeidlich, ist vielleicht auch zu viel. Rational gesehen ist der Abstieg darum kaum ein Problem."

Zum Schluss: Ist En Passant nun ein Vorzeigeverein? Ich sage zu 70% ja, die übrigen 30% haben zwei Gründe:
- "Vorbild" bedeutet dass andere dem nacheifern können, aber das "Modell Bunschoten" funktioniert vielleicht so nur in Bunschoten. Wie gesagt, SISSA hat jetzt ähnliche Ambitionen und vertraut dabei auf _einen_ grossen Sponsor. 2007 hatte Share Dimension für einen anderen Groninger Verein Kramnik eingeflogen, unklar ob es die Firma noch gibt - jedenfalls machen sie kein Schachsponsoring mehr.
- Generell bin ich ein bisschen skeptisch was "Kaufen von Erfolgen" betrifft. Aber ich akzeptiere dass es ohne Geld nicht geht. Ich kann nicht einschätzen wie es bei anderen Vereinen ausschaut betrifft Amateure (aus dem eigenen Verein bzw. der näheren Umgebung) vs. Profis oder Halbprofis, auf holländisch 'broodschaker' (Brotschachspieler). Sowohl quantitativ als auch qualitativ-atmosphärisch, d.h. das Verhältnis innerhalb der Mannschaft und zum Gesamtverein. Letzteres ist - soweit ich es beurteilen kann - in Bunschoten offenbar OK.

Kommentare   

#1 Gerhard 2013-05-02 09:19
Atmosphärischer Artikel!
Ich finde, daß, wenn Spieler "aus allen Herren Länder" eingeflogen werden, es so sein sollte, daß man noch Stunden nach dem Spiel zusammenbleibt. Dann IST es ein Verein, egal, ob er nur aus Lokalspielern besteht oder nicht.

Es ist auch so, daß Erfolgsstories nie endlos bestehen bleiben können. Das Ziel, einmal Meister geworden zu sein, wurde erreicht...und alles andere wird die Zukunft zeigen.

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